Atai testet Pilzdroge in der Klinik
Die börsennotierte Atai Life Sciences ist ein Exot in der deutschen Biotech-Szene. Das Team versucht, die haluzinogene Wirkung von Pilzsubstanzen als neuen Therapiepfad für schwere Depression salonfähig zu machen. In einem ersten klinischen Test wurde nun die Sicherheit dieses Vorgehens bei Gesunden – in einer sehr kleinen Teilnehmergruppe – erprobt. Die Ergebnisse sind positiv, damit öffnet sich die Türe zu einer weitergehenden Phase II-Studie.
Christian Angermayer ist eine schillernde Persönlichkeit der Biotechnologie – dies- und jenseits des Atlantiks. Mit einer vornehmlich für ihn persönlich erfolgreichen Investmentstrategie in einem deutschen Biotech-Unternehmen schaffte er den Sprung über den Großen Teich und dort einen Aufstieg zum Multi-Entrepreneur und gefragten Investor. Vor einigen Jahren hat er mit Atai Life Sciences ein transatlantisches Biotech-Unternehmen in Berlin und New York etabliert und erfolgreich zur Börsennotierung in den USA geführt. Der IPO erbrachte 2021 bemerkenswerte 225 Mio. US-Dollar, die Aktie notierte bei rund 19 US-Dollar.
Atai, und ausdrücklich Angermayer selbst, will eine im Abseits der Schulmedizin stehende Psychodroge salonfähig machen: die Substanz Psilocybin aus einem Pilz. Es gibt über 100 Pilzarten mit halluzinogenen Wirkstoffen. Die meisten halluzinogenen Pilze enthalten die Wirkstoffe Psilocybin und Psilocin. Sie werden auch Magic Mushrooms oder Magische Pilze genannt. Der häufigste Vertreter psilocybinhaltiger Pilze hierzulande ist der Spitzkegelige Kahlkopf (Psilocybe semilanceata). Psilocybin ist ein Indolalkaloid aus der Gruppe der Tryptamine. Der Konsum von Psilocybin erfolgt in der Regel in Form von psilocybinhaltigen Pilzen und bewirkt einen psychedelischen Rausch mit Halluzinationen. Dieser Zustand ähnelt dabei einem LSD-Rausch (Lysergsäurediethylamid), ist in der Regel jedoch kürzer.
Der Rausch um diesen Ansatz an der Börse war ebenfalls nur kurz, denn seither ging es mit dem Papier deutlich abwärts auf eine aktuelle Notierung um einen US-Dollar. Angermayer ist bei Atai etwas in den Hintergrund getreten und überlässt die klinische Entwicklung Pharmaveteranen. Damit ist etwas vom Glamour verflogen, dafür können nun die eigentlichen klinischen Ergebnisse wieder in den Vordergrund treten. Dies ist auch nötig, denn der Ansatz, eine Erkrankung der Psyche mit einer Art „psychodelischem Schock“ aufzulösen, ist mindestens gewagt.
Darum geht es aber bei der Substanz VLS-01, die als Film auf die innere Wangenseite aufgetragen wird: sie soll eine kurze psychedelische Erfahrung auslösen, was in einer Gesamtbehandlungsdauer von zwei Stunden in der Klinik unter Beobachtung stattfinden wird, in der interventionellen Psychiatrie kein ungewöhnliches Verfahren. Im ersten klinischen Test erreichte VLS-01 die maximale Plasmakonzentration innerhalb von 30–45 Minuten und löste nachweislich eine kurze psychedelische Erfahrung aus, wobei die subjektiven Wirkungen im Allgemeinen innerhalb von 90–120 Minuten abklangen, berichtet Atai. VLS-01 wies ein günstiges Sicherheitsprofil auf und wurde gut vertragen. Alle unerwünschten Ereignisse wurden als leicht oder mäßig eingestuft, und die meisten klangen am Tag der Verabreichung ab.
Mit diesem Ergebnis ist die Firmenleitung äußerst zufrieden und sieht eine gute Grundlage für weitergehende Untersuchungen in der nächsten klinischen Phase. „Wir freuen uns über die positiven Ergebnisse der Phase Ib-Studie mit VLS-01, die das Potential des Medikaments als vielversprechende therapeutische Option für die 100 Millionen Menschen weltweit, die an behandlungsresistenten Depressionen leiden, weiter untermauern“, sagte Dr. Srinivas Rao, Co-Chief Executive Officer und Mitbegründer von atai.
„In dieser Studie wurde festgestellt, dass die 120 mg-Dosis ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Intensität der psychedelischen Wirkung und der Sicherheit sowie der Verträglichkeit darstellt. Diese ermutigenden Ergebnisse deuten darauf hin, dass VLS-01, wenn sie sich in der Phase II wiederholen, eine erstklassige Behandlung für TRD [therapieresistente Depression] werden könnte. Die bietet eine gut verträgliche, bequeme orale Dosierung und ein kurzes psychedelisches Erlebnis, das in das in der interventionellen Psychiatrie etablierte zweistündige Verfahren in Kliniken passt“, so Rao weiter. „Diese Ergebnisse der Phase Ib bilden eine solide Grundlage für unsere Phase II-Studie bei Patienten mit behandlungsresistenten Depressionen, die gegen Ende des Jahres beginnen soll.“
Ob der Pilzdroge damit eine große Zukunft bevorsteht, ist durchaus mit gesunder Skepsis zu betrachten. Als Vergleich die kurzgefasste Geschichte zur Droge LSD: Mitte April 1943 entdeckte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann per Zufall die psychoaktive Substanz. Er experimentierte im Selbstversuch damit und beschrieb in eindrücklichen persönlichen Protokollen seine haluzinogenen Erlebnisse. Als Droge machte LSD dann eine steile Karriere, was schließlich zum Verbot der Substanz führte. Neuerdings wird LSD in richtiger Dosierung und in therapeutischer Begleitung zur Behandlung von bestimmten psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt. Die Auslösung von Angstzuständen, Abhängigkeit und anderen psychiatrischen Erscheinungen wiegen jedoch schwer in der Abwägung zum Einsatz. Ob sich VLS-01 von diesen Erfahrungen und Einschätzungen zu LSD positiv absetzen wird, bleibt die große Frage.